Wir sind auf dem Weg zum größten Tempelkomplex der Welt. Es ist Anfang Januar. Herr Tarrith hat uns am Hotel abgeholt. Mit seinem Tuk Tuk bringt er uns an diesem frühen Morgen nach Angkor Wat, dem legendären Haupttempel des archäologischen Parks von Angkor in der Nähe von Siem Reap in Kambodscha.
Der Weg führt von der Stadt etwa sechs Kilometer durch den Wald. Einsam und kühl ist es hier, sehr still. Am Ende der Waldallee erwartet uns ein riesiger Wassergraben, der die Tempelanlage umgibt. Tausende Seerosen blühen hier. Ein Idyll!

Ein nationales Symbol: Angkor Wat
Nun ja – nicht ganz! Herr Tarrith biegt ab, fährt um zwei Kurven und wir erreichen kurz darauf den gefühlt größten Parkplatz der Welt. Dies ist nicht wirklich eine Überraschung, denn schließlich nähern wir uns einem DER Hotspots des Tourismus‘. Alle wollen nach Angkor Wat. Und ja, wir auch.

Zusammen mit großen und kleinen Reisegruppen, Individualtouristen und zahllosen Instagramern machen wir uns auf den Weg vom Parkplatz zu einem der bekanntesten Monumente unseres Planeten.

Angkor Wat ist ein herausragendes nationales Symbol. Die markante Silouette des Haupttempels mit seinen fünf lotusförmigen Türmen ist allgegenwärtig – ob auf der Flagge Kambodschas, auf Websites und Logos oder auf dem Etikett einer kambodschanischen Biersorte.

Kurz vor dem großen Wassergraben, der die Anlage umgibt, erkennen wir zwischen den mächtigen Stämmen eines Baumes die Spitze des Tempels. Zauberhaft. Umgehend gelingt es uns, alle anderen auszublenden, die mit uns unterwegs sind.

Das Gelände von Angkor Wat ist riesig. Über mehr als 2 Quadratkilometer erstreckt sich die Tempelanlage. Jeder Mensch schrumpft angesichts der gigantischen Gebäude zur „Ameise“.

Man sollte also schon gut zu Fuß sein, und ich empfehle eher Wanderschuhe als Sandälchen. Immerhin: Die vielen Besucher verteilen sich ganz gut.

Im 12. Jahrhundert wurde Angkor Wat erbaut. 37 Jahre lang dauerten die Arbeiten am Staatstempel des Königs Suryamvarman II, den er dem hinduistischen Gott Vishnu widmete.

Angkor Wat ist nach Westen ausgerichtet, der Himmelsrichtung des Totengottes Yama. Dies ist, so sagen die Experten, ein Indiz dafür, dass hier der Totentempel Suryavarmans II steht.

Die Khmer wandten sich im 13. Jahrhundert dem Buddhismus zu. Aus dem Vishnu-Heiligtum wurde ein buddhistisches „Wat“, was „Kloster“ bedeutet. Heute lassen sich hier – im Kloster – Touristen mit kostümierten Einheimischen fotografieren.

Angkor Wat und die vielen Tempel in der Region erzählen hinduistische Mythologien, die Geschichte der Khmer und den Alltag im Leben ihres Reiches in vielen „Comics“, in Bildergeschichten, die als kunstvolle Reliefs in den Sandstein gemeiselt wurden.
Mega-City im Dschungel
Angkor ist ein Ort der Superlative! Einst stand hier, im Norden Kambodschas, eine riesige Metropole mit bis zu 1 Million Einwohnern.

Ab dem 8. Jahrhundert wurde die Mega-City mitten im Dschungel erbaut. 600 Jahre lang war sie das Zentrum des sagenumwobenen Khmer-Reiches.

Angkor Wat ist zwar die größte und bedeutendste Tempelanlage, die einzige ist sie jedoch beileibe nicht: Es gibt also viel zu entdecken. Wir machen uns auf den Weg. Und passieren als Erstes das südliche Tor von Angkor Thom, der „großen Stadt von Angkor“, der letzten Hauptstadt des Imperiums.

Gott Bodhisattva Lokeshvara blickt milde auf uns herab, als wir durch das Tor knattern.

Faszinierende Gesichter in Stein
Unsere nächster Halt liegt nicht weit vom südlichen Tor entfernt. Die Tuk-Tuk-Fahrt mit Herrn Tarrith führt zunächst durch einen stillen Wald, wo Affen den Weg säumen und auf Häppchen von den Touristen hoffen.

Unser Ziel ist Angkor Thoms zentraler Sakralbau, der magische Bayon, der zu den bekanntesten und eindrucksvollsten Tempeln der Region zählt.

Grund sind die meterhohen Gesichter, die hier in den Stein gehauen wurden und uns sanft lächelnd anblicken. Wir haben nicht nachgezählt, aber es sollen mehr als 200 Antlitze sein – bis zu sieben Meter hoch.

Sie wirken entrückt, zugleich zugewandt und lebendig, als könnten wir ein Gespräch mit ihnen beginnen über die Geschichte dieses geheimnisvollen Ortes und das Leben, das sich einst hier abspielte.

Der Bayon Tempel ist in vielerlei Hinsicht besonders. Die Anlage ist rund und nicht quadratisch wie andere. Sie wurde über Jahrhunderte immer wieder umgebaut und erweitert; dadurch ist sie weit komplexer als andere Bauten. Auch ist der Bayon-Tempel nicht von einer Mauer umgeben, sondern von offenen Säulengängen. Ein wunderbarer Ort!

Wo Bäume Steine umarmen
Der Ta Prohm Tempel ist ikonisch. Sein „Auftritt“ im Lara-Croft-Film mit Angelina Jolie machte ihn weltbekannt und brachte ihm den Künstlernamen „Tomb-Raider-Tempel“ ein.

Die Natur hat die verlassene Tempelruine vollkommen einvernahmt. Die riesigen Wurzeln der Kapokbäume halten die Gebäude fest umschlungen. Eine Umarmung für die Ewigkeit.

Ta Prohm ist DAS Fotomotiv und einer der meist besuchten Orte des ohnehin hochfrequentierten archäologischen Parks von Angkor. Wir haben jedoch ein bisschen Glück und erwischen ein paar stillere Momente.

Ta Prohms ursprünglicher Name lautete „Rajavihara“. Das ist Sanskrit und bedeutet „königliches Kloster“. Damit ist auch klar, wozu der Tempel diente und weshalb er so besonders sorfältig und prachtvoll gestaltet wurde. Zu seiner Blütezeit lebten mehr 12.000 Menschen im Kloster.

1186 wurde der Ta Prohm zu Ehren von „Prajnaparamita“ geweiht, dem buddhistischen Konzept der „Perfektion der Weisheit“.

Das Reich der Khmer
Mehr als 1.000 Tempel, verteilt auf rund 200 Quadratkilometer, erbauten die Khmer im Lauf der Jahrhunderte. Ihr Schlüssel zum Erfolg: die Kontrolle des Wassers.

König Yasovarman I. ließ im 9. Jahrhundert Bewässerungsanlagen und Stauseen anlegen.

So konnten die Reisfelder besser vorsorgt werden und man fuhr mehrmals im Jahr eine Ernte ein. Weit mehr als die Bevölkerung brauchte.

Die erfolgreiche Landwirtschaft brachte dem Khmer-Reich großen Reichtum. Angkor wurde zu DEM regionalen Machtzentrum Südostasiens.

Das ausgeklügelte Wassernetzwerk wurde im Lauf von sechs Jahrhunderten ständig ausgebaut, verändert und verbessert. Bis zum 15. Jahrhundert. Dann war Schluss.

Rätselhaft bis heute, warum die Khmer keine Tempel mehr bauten und was genau ihren Niedergang auslöste. Offenbar, so vermuten Forscher, spielte das Klima eine entscheidende Rolle. Heftige Niederschläge nach längeren Dürrephasen sollen das verzweigte Kanalnetz nachhaltig beschädigt haben. Was schließlich zum Zusammenbruch der damals größten Stadt der Erde führte.

Fazit
Die Ruinen von Angkor gehören zum Eindrucksvollsten, was wir auf Reisen gesehen haben. Selbst heute, viele Jahrhunderte nach ihrer Erbauung, lassen die Tempel und Klöster noch erahnen, was für eine gigantische Metropole die Khmer-Herrscher im Dschungel Südostasien geschaffen hatten. Angkor hat uns verzaubert.
